Aufruf 2009
Kettenduldungen beenden – humanitäres Bleiberecht sichern
Zwei Jahre nach dem ersten ökumenischen Aufruf der beiden Kirchen „Für eine humanitäre Umsetzung der Bleiberechtsregelung“ und angesichts des nahenden Fristendes für Anträge nach der gesetzlichen Altfallregelung am 31.12.2009 müssen wir feststellen:
- Die Bleiberechts- bzw. Altfallregelung war zwar ein Schritt in die richtige Richtung; viele humanitäre Probleme sind jedoch nach wie vor ungelöst.
- Eine vorläufige Bilanz der gesetzlichen Altfallregelung macht deutlich, dass von den ca. 100.000 Menschen, die Ende 2006 seit mindestens sechs Jahren mit einer Duldung in Deutschland lebten, bisher nur etwa die Hälfte eine vorläufige Aufenthaltsgenehmigung erhalten haben. Lediglich rund 6.500 von ihnen haben eine über den 31.12.2009 hinaus gesicherten Aufenthaltstitel erhalten, der den Rückfall in den prekären Status der Duldung verhindert.
- Weiterhin leben in Deutschland über 102.000 Menschen mit einer Duldung, davon über 63.000 seit mehr als sechs Jahren. Auch für sie muss eine angemessene Lösung gefunden werden.
Die Kirchen treten seit vielen Jahren dafür ein, die Praxis der so genannten „Kettenduldungen“ zu beenden und Menschen, denen aus verschiedensten Gründen eine Ausreise nicht zugemutet werden kann, eine Aufenthaltsperspektive zu ermöglichen. Viele Familien haben sich trotz der Schwierigkeiten, die der Duldungsstatus mit sich bringt, im Rahmen des Möglichen integriert. Ihre Kinder sind häufig in Deutschland geboren, besuchen den Kindergarten oder die Schule und haben kaum Bezugspunkte zum Herkunftsland ihrer Eltern. Die Betroffenen dauerhaft in einem Status der Ungewissheit zu belassen, wird dem Grundbedürfnis der Menschen nach einer verläss-lichen Lebensperspektive nicht gerecht. Der bereits vorhandene Spielraum des Aufenthaltsgesetzes, aus humanitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wird von den Ausführungsbestimmungen auf Bundes- und Landesebene allzu stark eingeschränkt. Neben einer entsprechenden Anpassung der Verwaltungsvorschriften und der Umsetzung des Gesetzes in den Ländern muss auch das Aufenthaltsgesetz selbst weiterentwickelt werden. Personen, die in Deutschland integriert sind und denen daher die Ausreise nicht mehr zugemutet werden kann, sollten eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis erhalten.
Die Evangelische Kirche in Deutschland, die Deutsche Bischofskonferenz und ihre Wohlfahrtsverbände Diakonisches Werk und Deutscher Caritasverband fordern deshalb:
- Die Fristen der gesetzlichen Altfallregelung müssen verlängert werden.
Die in der Altfallregelung vorgesehenen Fristen, innerhalb derer die Antragsteller ihren Lebensunterhalt überwiegend eigenständig sichern müssen, sind zu kurz bemessen, zumal die Betroffenen meist viele Jahre keinen Zugang zum Arbeitsmarkt hatten. Die Zeit bis zum 31.12.2009 reicht – gerade angesichts der gegenwärtigen Wirtschafts- und Finanzkrise – nicht aus, um sich auch beruflich zu integrieren und fortzubilden. Ein Beharren auf den Stichtagen würde dazu führen, dass die gefundene Lösung zu einer Scheinlösung wird und den Menschen weiterhin keine Perspektive eröffnet. Angesichts der für die Betroffenen extrem belastenden Situation muss diese Entscheidung so bald wie möglich getroffen werden. - Humanitäre Gesichtspunkte müssen angemessen berücksichtigt werden.
Die Anforderungen an die Sicherung des Lebensunterhalts sind zu hoch – das gilt in besonderem Maße für kinderreiche Familien oder Alleinerziehende. Für diejenigen, die unverschuldet keine Chance haben, die Ansprüche zu erfüllen, müssen Ausnahmeregelungen geschaffen werden. Insbesondere kranken, traumatisierten, alten oder pflegebedürftigen Menschen soll auch ohne eigenständige Lebensunterhaltssicherung ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht gewährt werden können. - In der Beurteilung der Ausschlussgründe und der Mitwirkungspflichten muss der Einzelfall angemessen gewürdigt werden können.
Die umsetzenden Behörden sollten auch in der Beurteilung geringfügiger Verfehlungen in der Vergangenheit und der Erfüllung der Mitwirkungspflichten bei der Ausreise (z.B. dem Beschaffen gültiger Ausweispapiere) einen Spielraum für die Würdigung des Einzelfalls haben und auch davon Gebrauch machen. Maßgebliches Kriterium für die Entscheidung sollte dabei die Integrationsprognose sein. - Die Trennung von Familien soll vermieden werden.
Der Ausschluss der ganzen Familie von der Bleiberechtsregelung bei Verfehlungen eines einzelnen Familienmitgliedes ist höchst problematisch. Vor allem dürfen Eltern nicht unter Druck gesetzt werden, Deutschland zu verlassen, um ihren Kindern ein Bleiberecht zu ermöglichen. In diesen Fällen kommt es maßgeblich auf das Kindeswohl an, so dass eine Trennung von Familien in der Regel nicht die richtige Lösung sein kann.
Weihbischof Dr. Josef Voß, Bistum Münster, Vorsitzender der Migrationskommission der Deutschen Bischofskonferenz
Präses Alfred Buß, Evangelische Kirche von Westfalen, Vorsitzender der Kommission für Migration und Integration der Evangelischen Kirche in Deutschland
Münster / Bielefeld, den 11. Mai 2009