Kettenduldungen beenden – humanitäres Bleiberecht sichern
Caritas und Diakonie setzen sich in ihrer „Aktion Bleiberecht“ für die Abschaffung der Kettenduldungen und eine Aufenthaltsgewährung geduldeter Menschen ein, basierend auf dem Aufruf der Kirchen Deutschlands. Dies soll durch eine gesetzliche Regelung ermöglicht werden, die keine Stichtage vorsieht, realistische Anforderungen stellt und auf restriktive Ausschlussgründe verzichtet sowie Familien schützt und humanitäre Notlagen Einzelner und von Gruppen berücksichtigt.
Mit dem „Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung“ wurde die Regelung zur Aufenthaltsgewährung von Jugendlichen und Heranwachsenden (§ 25a Aufenthaltsgesetz) verbessert und eine stichtags- und altersunabhängige Bleiberechtsregelung (§ 25b Aufenthaltsgesetz) zum 01.08.2015 eingeführt. Damit wurde die Forderung nach einer gesetzlichen Regelung weitgehend erfüllt. Das BMI hat Anwendungshinweise herausgegeben. Aus der Praxis hören wir jedoch, dass die Regelung kaum oder nur sehr restriktiv umgesetzt wird. Mit dieser Seite wollen wir die Umsetzung der Bleiberechtsregelung begleiten und unterstützen.
Die Aktion Bleiberecht
Die Kirchen und ihre Wohlfahrtsverbände treten seit Jahren dafür ein, die Praxis der Kettenduldungen zu beenden. Menschen, die über Jahre hinweg nur geduldet sind, sollten eine dauerhafte Aufenthaltsperspektive erhalten und ihnen soziale Teilhabe ermöglicht werden. Die Aktion Bleiberecht startete mit dem Aufruf der Kirchen am 11. Mai 2009.
Was bisher erreicht wurde
Aufgrund der politischen Diskussion über die Notwendigkeit, Kettenduldungen abzuschaffen und eine stichtagsfreie Bleiberechtsregelung im Aufenthaltsgesetz zu verankern, brachten von unterschiedlichen Koalitionen geführte Bundesländer wie Schleswig-Holstein, Niedersachsen sowie Hamburg Gesetzesentwürfe in den Bundesrat ein. Des Weiteren wurden auch im Deutschen Bundestag Gesetzentwürfe von SPD, Grünen und Linken auf den Weg gebracht. Der Bundesrat beschloss im März 2013 eine Regelung, die von der Integrationsministerkonferenz empfohlen und durch Hamburg eingebracht worden war.
Im Herbst 2013 fand dieser Bundesratsbeschluss Eingang in den Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung und im Juli 2015 beschloss der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates das „Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung“.
Dieses Gesetz soll das Bleiberecht reformieren und die Rechtstellung geduldeter Personen stärken bzw. diese Menschen mit einem gesicherten Aufenthaltsstatus honorieren, wenn sie Integrationsleistungen erbracht haben oder schutzbedürftig sind. Die Bleiberechtsregelung wurde dabei alters- und stichtagsunabhängig ausgestaltet. Auch bei Nichtvorliegen einzelner Mindestkriterien kann nun ein Bleiberecht im Rahmen einer Gesamtschau gewährt werden. Die schon bestehenden Möglichkeiten für Jugendliche und Heranwachsende wurden erleichtert.
§ 25 a AufenthaltsG - Aufenthaltsgewährung bei gut integrierten Jugendlichen und Heranwachsenden
Im Juli 2011 trat eine stichtagsfreie Bleiberechtsregelung für Jugendliche und Heranwachsende mit dem neu geschaffenen § 25a des Aufenthaltsgesetzes in Kraft, welche im August 2015 mit dem „Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung“ verbessert wurde. Nutzen können ihn Personen im Alter bis 21 Jahre, wenn sie sich seit mindestens vier Jahren ununterbrochen in Deutschland aufhalten, seit vier Jahren erfolgreich die Schule besucht oder einen Schul- bzw. Berufsabschluss gemacht haben und ihre Integrationsprognose als positiv gewertet wird. Von der eigenständigen Sicherung des Lebensunterhalts wird abgesehen, solange der Jugendliche oder Heranwachsende sich noch in Schule und Ausbildung befindet. Auch können die Ehegatten, Lebenspartner und minderjährige ledige Kinder des Jugendlichen bzw. Heranwachsenden eine Aufenthaltserlaubnis erhalten, wenn sie als Familie zusammenleben. Ebenso können die Eltern eine Aufenthaltserlaubnis bekommen, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass sie ihren Lebensunterhalt vollständig selbst sichern können. Mit dieser Aufenthaltserlaubnis ist es den Jugendlichen oder Heranwachsenden erlaubt einen Beruf auszuüben.
§ 25 b AufenthaltsG - Aufenthaltsgewährung bei nachhaltiger Integration
Neu eingeführt wurde im August 2015 der § 25b des Aufenthaltsgesetzes. Demnach kann eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn sich die geduldete Person seit mindestens acht Jahren (sechs Jahre bei häuslicher Gemeinschaft mit minderjährigen Kindern) ununterbrochen in Deutschland aufhält und nachhaltig in die deutschen Lebensverhältnisse integriert hat. Dazu zählt u.a., dass die Person hinreichende mündliche Deutschkenntnisse besitzt und ihren Lebensunterhalt überwiegend selbst sichern kann bzw. dies in Zukunft zu erwarten ist. Unerheblich hierfür ist der Bezug von Wohngeld im allgemeinen oder ein vorübergehender Bezug von Sozialleistungen bei Studierenden und Auszubildenden sowie bei Familien oder Alleinerziehenden mit minderjährigen Kindern und bei Personen, die nahe Angehörige pflegen. Sehr erfreulich ist die Regelung, die es bei bisherigen Altfallregelungen nicht gab, dass von Sprachkenntnissen und Lebensunterhaltssicherung abgesehen werden kann, wenn eine Person aus gesundheitlichen oder Altersgründen diese Voraussetzungen nicht erfüllen kann. Auch die Ausschlusstatbestände sind gegenüber vergangenen Altfallregelungen deutlich verbessert. Auch können die Ehegatten, Lebenspartner und minderjährige ledige Kinder eine Aufenthaltserlaubnis erhalten, wenn sie als Familie zusammenleben und ihre Integrationsprognose als positiv gewertet wird. Die Aufenthaltserlaubnis wird jedoch nur für 2 Jahre erteilt, erlaubt aber einen Beruf auszuüben.
Eine Beratungshilfe für potentiell Begünstigte des § 25a und § 25b Aufenthaltsgesetz finden Sie hier (Kurzfassung von Eugen Deterding aus Hessen) oder hier (Langfassung von Diakonie und Caritas aus Baden).
Was dem Bleiberecht entgegensteht: Gesetzliche und praktische Hürden
Nach der Auswertung einer Umfrage an diakonische Beratungsstellen in den Bundesländern mussten wir feststellen, dass die bisher bestehenden Bleiberechtsregelungen kaum umgesetzt werden, zumeist nur im Klagewege. Daher empfehlen wir die Möglichkeit einer Klage zu prüfen.
Zudem sieht das „Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung“ zwar verbesserte Möglichkeiten vor, aus der Duldung in eine Aufenthaltserlaubnis zu kommen, aber gleichzeitig auch mehrere Regelungen, um den Aufenthalt von geduldeten Personen zu beenden.
So wurden die Tatbestände für ein Aufenthaltsverbot in § 11 Abs. 6 und 7 Aufenthaltsgesetz ausgeweitet. Danach kann ein Aufenthaltsverbot grundsätzlich erteilt werden, wenn die Ausreisefrist abgelaufen ist oder der Asylantrag eines Flüchtlings aus einem sog. sicheren Herkunftsland als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde. Fast alle geduldeten Personen haben bereits eine Ausreisefrist gesetzt bekommen. Ein Aufenthaltsverbot führt jedoch dazu, dass keine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden darf, so auch nicht gemäß der Bleiberechtsregelung. Hier kommt es darauf an, dass gemäß § 11 Abs. 4 das Aufenthaltsverbot aufgehoben wird, wenn die Voraussetzungen für ein Bleiberecht vorliegen.
Auch durch die sog. Asylpakete I und II (Gesetzespakete zur Änderung des Aufenthalts- und Asylrechtes) im Jahr 2015 werden vermeintliche Vollzugsdefizite für die Abschiebung geduldeter Personen beseitigt. So werden beispielsweise Atteste von Psychotherapeuten über die Gefahr einer Re-traumatisierung bei Rückkehr nicht mehr berücksichtigt und schützen nicht vor der Abschiebung.
Warum weiter handeln?
Von dieser Regelung können zur Zeit potenziell nur 29.441 Personen, die seit mehr als sechs Jahren in Deutschland geduldet sind, profitieren (Stand 31.12.15). Vor allem ist die Zahl der Duldungen in den letzten beiden Jahren sprunghaft angestiegen (von 113.221 in 2014 zu 155.308 in 2015). Die meisten dieser Menschen werden wegen der Mindestaufenthaltsdauer die Bleiberechtsregelung nicht nutzen können. Unser gemeinsames Ziel: „Abschaffung der Kettenduldungen“ ist daher trotz der Erfolge noch nicht erreicht.
Forderungen
Die Forderungen der Kirchen und Wohlfahrtsverbände sind mit den jetzigen Regelungen weitgehend umgesetzt. Jetzt geht es vor allem darum, dass sie auch praktisch umgesetzt werden. Dies betrifft insbesondere auch den Umstand, dass die in der Regelung beschriebenen Kriterien einen Katalog darstellen, der in der Regel zu einem Bleiberecht führt, aber auch im Rahmen einer Gesamtschau ein Bleiberecht erteilt werden kann, wenn nicht alle Voraussetzungen erfüllt sind. Dies betrifft auch die Aufenthaltsdauer. Die Anforderungen müssen sich ferner auch in der Praxis an den Möglichkeiten der Betroffenen orientieren.
Zudem müssen geduldete Menschen aktiv auf ihrem Weg in den Arbeitsmarkt gefördert werden. Daher fordern wir den weiteren Abbau von Hürden, z.B. den Wegfall des Arbeitsverbotes und der Nachrangigkeitsprüfung sowie eine aktive berufliche Integration von Asylsuchenden und Geduldeten in den Arbeitsmarkt, die weitestgehend (kostenfreie) Anerkennung im Ausland erworbener beruflicher Abschlüsse und Ermöglichung von (Anpassungs-) Qualifizierungen.
Internetauftritt zur Aktion Bleiberecht
Der Internetauftritt von Diakonie und Caritas soll der Information über die bestehende Problematik der Kettenduldungen sowie der Vernetzung dienen, die geschaffene gesetzliche Bleiberechtsregelung umzusetzen.
Über Ihre Berichte zu Einzelfällen potentiell begünstigter Personen und ob sie ein Bleiberecht bekommen haben oder warum nicht, freuen wir uns. Ggf. veröffentlichen wir sie gerne auf dieser Seite.
Kontakt
Sebastian Ludwig (Diakonie Deutschland – Ev. Bundesverband), E-Mail: bleiberecht@diakonie.de
Tobias Mohr (Deutscher Caritasverband), E-Mail: Tobias.Mohr@caritas.de